SCHMIDT KUNSTAUKTIONEN DRESDEN AUKTION 32     09.06.2012

006   Carl Gustav Carus, Seestück mit Felsen (The Needles, Isle of Wight, im Gegenlicht). 1844.

Öl auf dünner Malpappe, nachträglich vollflächig auf Bütten montiert und minimal geschnitten. Unsigniert. Verso auf der Rückwand von unbekannter Hand bezeichnet. In schmaler Holzleiste gerahmt.
Malschicht mit leichter, kleiner Kratzspur o.li. (ca. 9 mm), im Himmel kaum sichtbar kratzspurig. Im Streiflicht vereinzelt Spuren der Pinselführung des Firnisauftrag erkennbar. Im Falzbereich mit unscheinbaren Firnisverfärbungen. Malträger leicht verwölbt.
Nicht im WVZ Prause.

Eine ausführliche Expertise von Prof. Dr. H. J. Neidhardt, Dresden, vom 20. April 2012 liegt vor.

Provenienz: Sächsischer Privatbesitz, Patentochter der Margarete Schwerdtner; vormals im Besitz der Margarete Schwerdtner, Pflegetochter der Caroline Cäcilie Carus.

In den Sommermonaten Mai bis August des Jahres 1844 bereiste Carl Gustav Carus als Begleiter des sächsischen Königs Friedrich August II. weite Teile Englands und Schottlands - eine an Eindrücken und Beobachtungen überreiche Exkursion, die ihren adäquaten literarischen Niederschlag in den 1845 publizierten Reisetagebüchern "England und Schottland im Jahre 1844" gefunden hat. Dank dieser äußerst präzisen Aufzeichnungen der Reiseereignisse läßt sich ein genaues Entstehungsdatum für das hier vorgestellte Seestück ausmachen: der 1. Juni 1844, zwischen zehn und elf Uhr vormittags. Im Eintrag unter diesem Datum liest man, daß morgens um sechs das seit dem Hafen von Portsmouth zur Verfügung stehende Segelschiff "Fanny" bestiegen wurde, um nach einer ausführlichen Umrundung der Isle of Wight gen Southampton zu steuern, wo man um halb drei Uhr anlegte. Die bizarre Felsformation der "Needles" wurde nach etwa der halben Fahrt vor der Mittagszeit erreicht; Carus' Zeilen fassen den Anblick in äußerst schilderungsreichen Worten zusammen: "Wirklich war indeß fürs erste der Wind vollkommen günstig, und man setzte alle Segel bei, um noch, bevor man nach Southampton kehrte, die Westspitze von Wight mit den merkwürdigen Kreidefelsen der Needles zu erreichen. Die Fahrt war sehr schön, die Küste von Wight streckte sich in manchen Schwellungen lang hin und das Meer gab die herrlichsten Effecte. […] Jetzt erschienen nun die Needles - drei hohe in einer Linie hinaus ins Meer gelagerte Kreidefelsen, schön von den noch schief auffallenden Strahlen der Morgensonne beleuchtet, umflogen und bedeckt von Möven und Tauchern, umbrandet von dem grünlichen Meere. - Der Anblick war prächtig; der bräunliche und grünliche Beschlag um den Fuß der Klippen, der Glanz der scharfen Kanten und Zacken der Kreide, der duftige Schimmer der hohen Kreidewände der Insel selbst, das lockere, sein auf dem Horizonte schwebende Gewölk, und die stets wechselnden Gruppen und Bilder, welche bei jedem Vorwärtsdringen, Schwenken und Schwanken unsrer Fanny entstanden und verschwanden; ich werde es nie vergessen! Wir fuhren noch über die Klippen hinaus, so daß wir auch ihre westliche Ansicht gewannen, und die weite offene See vor uns lag, …" Die hier zur Auktion gebrachte kleine Studie beschreibt mit malerischen Mitteln genau diese Beobachtungen, findet sich in ihr eben jene Stimmung einfühlsam wiedergegeben. "Die genau beobachtete Schilderung von Felsen, bewegter See und Atmosphäre zeugt von dem innigen Naturverhältnis des Künstlers. Sie hat weniger mit Romantik als mit Impressionismus zu tun und ist somit durchaus auf der Höhe der Zeit." (aus: Expertise Prof. Neidhardt).

Literatur:
Carus, Carl Gustav: England und Schottland im Jahre 1844, Band 1, Berlin 1845, S. 108ff.
Von Sydow, Eckart: Carl Gustav Carus und das Naturbewußtsein der romantischen deutschen Malerei, In: Monatshefte für Kunstwissenschaft, Leipzig 1922, 15. Jg., S. 30-38.

weiterführend:
Carl Gustav Carus – Wahrnehmung und Konstruktion. Akten zum interdisziplinären Kolloquium 21. bis 23. Mai 2008 im Residenzschloß, Staatliche Kunstsammlungen Dresden. Dresden 2009
Prause, Marianne: Carl Gustav Carus, Leben und Werk. Berlin 1968, S. 148/149. Nr. 287.

Abbildungsnachweis für C.G. Carus, England und Schottland im Jahre 1844: SLUB Dresden / Hist.Brit.A.279-1, S. 108ff.

12,3 x 19 cm, Ra. 14,3 x 21 cm.

Schätzpreis
15.000 €
Zuschlag
42.000 €