001 Simon Jacobsz de Vlieger, Küstenlandschaft bei Biervliet(?), aus der Sammlung Georgs V. von Hannover. 1630er oder frühe 1640er Jahre.
Simon Jacobsz de Vlieger um 1601 Rotterdam – um 1653 Weesp
Georg V. von Hannover 1819 Berlin – 1878 Paris
Jacobus Reimers 1850 Hatshausen – 1914 Berlin
Wilhelm von Bode 1845 Calvörde – 1929 Berlin
Paul Cassirer 1871 Breslau – 1926 Berlin
Hugo Helbing 1863 München – 1938 ebenda
Öl auf Eichentafel. Rechter Teil eines vormals größerformatigen Gemäldes. Tafel am li. und o. Rand gekürzt. U.re. auf einer Planke signiert "S. VLIGER". Verso mit einer jüngeren Parkettierung. In einem schwarzen profilierten Schleiflackrahmen. Auf dem Rahmen auf einem Messingschild künstlerbezeichnet "Simon de Vlieger" und mit Provenienzangabe "Erwerb a.d. Braunsch. Lünebg. Fideikom. Galerie".
Nicht im WVZ Kelch. Das Gemälde wird in das WVZ Tak Labrijn
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aufgenommen.
Provenienz: Privatsammlung Dresden; 1926 Auktion Berlin; 1886 Provinzialmuseum Hannover; 1872 – 1886 interimsmäßig untergebracht in der Landschaftsstraße 3; 1869 Welfenmuseum Schloss Herrenhausen; 1862 Welfenmuseum Hannover; Welfischer Familienbesitz.
Registriert in:
RKD, Den Haag, RKDimages Lite-Datenbank, Nr. 212512.
Paul Cassirer; Hugo Helbing: Alte und neuere Meister der Fideikommiss-Galerie des Gesamthauses Braunschweig-Lüneburg: Versteigerung 27./28. April, Berlin 1926, KatNr 171.
Jacobus Reimers (Hrsg.): Katalog der zur Fideikommiss-Galerie des Gesamthauses Braunschweig und Lüneburg gehörigen Sammlung von Gemälden und Skulpturen im Provinzialmuseum zu Hannover, Hannover 1905, KatNr 579.
Oskar Eisenmann: Gemälde-Sammlung, in: Katalog der zum Ressort der Königlichen Verwaltungs-Kommission gehörigen Sammlung […] im Provinzial-Museumsgebäude, Hannover 1891, S. 64–255, KatNr. 583.
Das Königliche Welfen-Museum zu Hannover im Jahre 1863, Hannover 1864, KatNr. 86 sowie S. 18 zur Provenienz.
Wir danken Gillis Tak Labrijn für die Bestätigung der Autorenschaft Simon Jacobsz. de Vliegers anhand hochauflösender Fotos.
Die "Küstenlandschaft bei Biervliet" und die Sammlung König Georgs V. von Hannover
1861—1862 vollzog sich die Gründung des Königlichen Welfenmuseums in Hannover (erst Jägerstraße 7, ab 1862 Adolfstraße) auf Initiative König Georgs V. von Hannover, in welchem alter welfischer Besitz zusammengeführt wurde. Die vorliegende "Küstenlandschaft" gehörte dazu. Infolge der preußischen Annexion Kurhannovers nach dem Deutsch-Österreichischen Krieg im Jahr 1866 verließ Georg V. sein Königreich. Der Kunstbesitz wurde fortan als Fideikommiss von der Stadt Hannover (gen. Fideikommiss des Gesamthauses Braunschweig-Lüneburg) verwaltet, aber in den entsprechenden Museen belassen. 1869 zieht das Welfenmuseum nach Schloss Herrenhausen um und wurde dort mit einem seit 1852 bestehenden "Familienmuseum" zusammengelegt. Von 1872—1886 wurde das Gemälde interimsmäßig in der Landschaftsstraße 3 in Hannover aufbewahrt Als 1886 der Erweiterungsbau (Prinzenstraße) des Provinzialmuseums (Sophienstraße) vollendet war, wurden die Herrenhausener Bestände, darunter die "Küstenlandschaft", fortan dort ausgestellt. Nach Verhandlungen mit Herzog Ernst August 1892—1893 wurde sich darauf geeinigt, dass Kunstgegenstände aber als zeitlich begrenzte Leihgabe weiterhin im Provinzialmuseum als "Fideikommiss-Galerie des Hauses Braunschweig und Lüneburg" verbleiben sollen.
1925 wurde das Fideikommiss jedoch endgültig aufgelöst, sodass die Welfen nun Teile des Besitzes veräußern konnten. "Die Küstenlandschaft bei Biervliet" wurde schließlich 1926 über die Auktionsgemeinschaft Hugo Helbing & Paul Cassirer, Berlin, versteigert. Im Vorwort des Auktionskataloges wurde das Gemälde explizit von Wilhelm von Bode als authentisch autorisiert.
Vgl. Otto Jürgens: Die Entstehung der stadthannoverschen Museen, in: Hannoversche Geschichtsblätter 13 (1910), S. 248—255, hier S. 211—219.
Simon Jacobsz de Vlieger – Ein Ausflug nach Biervliet
Gillis Tak Labrijn
Ein bewölkter Himmel und starker Wind bilden die Kulisse für friedliche Alltagsaktivitäten wie Fischfang und Schifffahrt. Obwohl sie nur mit wenigen Pinselstrichen angedeutet sind, zeugen die Befestigungsanlagen im Hintergrund von einer drohenden militärischen Gefahr. Diese Verteidigungsanlagen gehören zu einer Kette von befestigten Städten und Festungen entlang der Grenze der Niederländischen Republik und der Spanischen Niederlande, insbesondere im Delta der Schelde, das die Provinzen Zeeland und das heutige Nordbrabant umfasst. Entlang dieser Grenzen kämpften spanische Truppen während des Achtzigjährigen Krieges gegen die Armeen der aufeinanderfolgenden Statthalter Moritz und Friedrich Heinrich von Oranien-Nassau.
Auch wenn der Maler darauf verzichtet, umfassendere Landschaftsdetails darzustellen, lässt sich die Szene dennoch topografisch identifizieren. Aufgrund der ersichtlichen Größe der steinernen Festung, ihrer Lage fast direkt am Wasser, des Fehlens städtischer Details wie hoher Kirchtürme und der offensichtlichen Breite des Flusses, erscheint eine Darstellung der Festung von Biervliet als die wahrscheinlichste Möglichkeit. Aufgrund mangelnder Ähnlichkeit können die häufiger dargestellten Wasserfestungen Rammekens, Lillo und Phillipine ausgeschlossen werden. Bildquellen aus dem 17. Jahrhundert für Biervliet sind rar und nur aus kartografischem Material bekannt, das sich allerdings erheblich voneinander unterscheidet, weil sich die tatsächlichen geografischen Details unter den Kriegsbedingungen rasch veränderten.
Die Stadt Biervliet erhielt bereits 1183 ihre Stadtrechte und lag auf einer Insel vor dem Südufer der westlichen Schelde, im Dollaert, der natürlichen Grenze zwischen dem westlichen und östlichen Seeländischen Flandern. Diese Insel musste man passieren, um zum Braakman zu gelangen, einer Gezeitenrinne, die den Zugang zu den Häfen von Boekhoute, Phillipine, Axel und Sas van Gent ermöglichte. Nördlich der Insel befanden sich mehrere große Sandbänke, die auf Janssonius' Seelandkarte von circa 1646 als "Groote Plaat” (Große Sandbank) verzeichnet sind. Die Insel lag an einer Kreuzung für Fährverbindungen, die von sogenannten beurtschepen (Fährschiffe) angeboten wurden.
Die Stadt hatte für de Vlieger eine persönliche Bedeutung, da Willem Beukelszoon dort um 1400 das Kehlen von Heringen erfunden hatte. Biervliet war traditionell ein Gebiet der Salzgewinnung, und Beukelszoon entwickelte ein Verfahren zum Konservieren von Heringen, bei dem Kiemen und Innereien entfernt wurden. Die breite Anwendung dieser Technik trug wesentlich zum Wohlstand der nördlichen Niederlande bei. De Vliegers Vater, Jacob Jacobsz., war von Beruf Heringsfischer und wurde vom Rotterdamer Stadtrat zum Inspektor für Heringe und Fisch ernannt, eine Position, die er von 1596 bis 1602 innehatte.
De Vliegers Œuvre umfasst fünf maritime Werke im Hochformat, die folglich auf einer geneigten Tafel mit vertikaler Holzmaserung ausgeführt sind. Das vorliegende Gemälde muss jedoch, gemessen an seiner horizontalen Maserung und der abgeplatzten Farbe entlang der linken Kante, aus einer größeren Tafel stammen, in der es als Repoussoir im rechten Vordergrund fungierte. Die ursprüngliche Szene könnte durchaus einen Dreimaster auf der linken Seite als Gegengewicht in der Komposition enthalten haben und wäre deshalb sicher mit einem Werk der früheren Molyneux-Sammlung vergleichbar gewesen (Highclere Castle Sale, London (Sotheby's), 5. Juni 2006, Los 28). Eine Öffnung in der Wolkendecke, die das Licht auf den Mittelgrund reflektiert, muss im Himmel auf der fehlenden linken Hälfte der Komposition vorhanden gewesen sein. Die ursprüngliche Größe lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen. Aber geht man von der Standardgröße einer Salvater-Tafel (ca. 48 x 62 cm) aus, würde das Verhältnis von Himmel zu Wasseroberfläche 4:1 betragen – mit anderen Worten, 4/5 der gemalten Fläche würden sich über dem Horizont befinden – was mit den üblichen Proportionen bei De Vlieger übereinstimmt.
Im Vorfeld der Auktion von 1926 wurde das Gemälde von Wilhelm von Bode begutachtet, der zuvor gemeinsam mit Oskar Eisenmann an der Erstellung des Sammlungskatalogs von 1891 mitgewirkt hatte, für den Eisenmann auch Abraham Bredius zu Rate gezogen hatte. Das Gemälde wird in der Liste der Werke in Jan Kelchs Dissertation von 1971 nicht erwähnt. Die Signatur "S VLIGER” taucht an keiner anderen Stelle im Œuvre auf, scheint jedoch stilistisch konsistent zu sein. Zwei Gemälde aus der Mitte der 1630er Jahre sind bekanntermaßen mit dem Nachnamen "VLEGER” signiert: jenes in Berlin, Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, InvNr. 934 (heute als zugeschrieben präsentiert, von mir jedoch als eigenhändig akzeptiert) und jenes, das sich früher in Schloss Friedenstein, Gotha, Inv.-Nr. V203, befand und heute in einer Darmstädter Privatsammlung. Die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes steht aufgrund der stilistischen Übereinstimmung außer Zweifel.
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Kleinteilig aufstehende Malschicht-Schollen, sehr kleine Retuschen. Der Himmel bis etwa zur Bildmitte vollflächig alt lasierend übergangen. Wenige Schäden im Falzbereich. Gehrungen des Rahmens leicht geöffnet.
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28,1 x 22,9 cm, Ra. 42,1 x 36,5 cm.