001 Johan Christian Clausen Dahl, Morgenstimmung bei Pillnitz. Um 1830.
Johan Christian Clausen Dahl 1788 Bergen – 1857 Dresden
Öl auf vorgrundierter Leinwand. Unsigniert. Verso in Blei von unbekannter Hand auf Keilrahmen bezeichnet "Dahl". In einem ornamentalen, durchbrochen gearbeiteten Schmuckrahmen.
Provenienz: Norddeutscher Privatbesitz.
Ein schriftliches Gutachten von Prof. Dr. Hans Joachim Neidhardt, Dresden, vom 04.04.13 liegt vor.
Der Standpunkt des Malers läßt sich sehr genau nachvollziehen. Detailliert bildet Dahl hier den auslaufenden Pillnitzer Höhenzug mit Borsberg von Oberpoyritz
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aus gesehen ab. Das Dorf ist östlich von Pillnitz gelegen. Im Vordergrund fließt der Graupaer Bach. Daß Dahl in dieser Gegend oft Naturstudien betrieb und die atmosphärischen Stimmungen verschiedener Tageszeiten einfing, zeigen u.a. auch die aus der gleichen Zeit stammenden Arbeiten "Blick über Felder bei Dresden", 1830, Öl auf Leinwand (Bang 642) mit der entsprechenden Vorzeichnung (Bang 643) sowie "Die Elbe im Mondlicht", 1835, Öl auf Malpappe (Bang 780). Für das bei Bang mit dem Titel "Blick über Felder bei Dresden" geführte Gemälde wählte Dahl einen südwestlicheren Standpunkt. Er zeigt das Wasserpalais des Schlosses Pillnitz mit dahinter liegendem Borsberg und dem sich rechts eröffnenden Blick in die Sächsische Schweiz.
"Tod und Verderben, das ist ja etwas ganz Vortreffliches, ich hätte nicht gedacht, daß Sie so malen, auch wenn ich oft und schon vor langer Zeit von Ihnen habe reden hören." Ein spontaneres, ehrlicheres und höheres Lob hätte dem 1818 aus Kopenhagen in Dresden eintreffenden norwegischen Landschaftsmaler Johan Christian Dahl wohl kaum angetragen werden können. Kein geringerer als der bald zum untrennbaren Freund avancierende Caspar David Friedrich, Leitfigur der Dresdner Malerei einer empfindsamen, poetischen Romantik, drückte in diesen Worten seine Wertschätzung aus.
Dahls direkter Zugang zu den mannigfaltigen Erscheinungen der Natur, seine unverkrampfte, unbemühte Wiedergabe einer Stimmungslage, die auf jegliches starre Gerüst einer strengen Komposition zu verzichten in der Lage war, nahmen ihn für sich ein. Die Freundschaft zwischen Friedrich und Dahl verfestigte sich schnell, häufig traten sie gemeinsam auf, bewohnten mit ihren Familien dasselbe Haus, erhielten Aufträge für Gemeinschaftswerke. Trotz dieser großen Nähe beeinflußten sie sich in ihrer Malerei nur sporadisch. Beide Künstler einte der Anspruch an die Kunst, sie solle nicht allein dem Kenner zugänglich sein, sondern einem jeden Betrachter. In malerischer Raffinesse und einstudierten kompositorischen Effekten sahen sie eine abzulehnende, kühle künstlerische Berechnung. Während Friedrich jedoch seine Naturerfahrung mit zumeist religiösen Momenten symbolisch steigerte, schätzte Dahl das empirische Moment der unmittelbaren Wiedergabe des Erlebten ohne einem bloßen Abbilden zu verfallen. Vor der Natur entstandene Studien und Skizzen wurden ohne längeres Reflektieren oder Überformen in raschen, aber dennoch präzisen, Pinselstrichen auf die Leinwand übertragen, so daß sich der unmittelbare Natureindruck als emphatisches Moment erhalten ließ. Es galt ihm, eine poetische und geistige Dimension in dem Geschauten zum Ausdruck zu bringen, die Rezeption, Empfindung und Reflexion vereinigte. Seine Worte „Die Natur läßt sich nicht direkt abschreiben“ formulieren diese Intention, legen sie doch die persönliche Empfindung, nicht die Interpretation, seiner Seherfahrung zugrunde.
Prägend für diese Herangehensweise mag das Erleben seiner gewaltigen, stets einem Schauspiel der Naturgewalten ausgesetzten Heimatlandschaft Norwegen gewirkt haben. Wie in keiner anderen Region Europas wechseln im Norden die atmosphärischen Stimmungen, ziehen dramatische Wolkenbilder über die Berge, um in nächsten Augenblick von übernatürlich scheinendem Sonnenlicht durchbrochen zu werden. Der rasche Wechsel von Licht und Schatten fordert ein präzises und flinkes Erfassen der Situation. In zahlreichen Wolken- und Landschaftsstudien legte sich Dahl einen Fundus unterschiedlicher regionaler Erscheinungen an, die zusammengeführt ein Gesamtbild, einen farbigen Klang eben jenen Ortes ergaben, dem sie entstammen. In seinen Augen erschien es für einen Landschaftsmaler unumgänglich, nicht nur die charakteristischen Oberflächenformen einer Landschaft hinreichend zu studieren, sondern in hohem Maße auch das Wetter und die Wolkenformationen. Jedoch anders als in den Untersuchungen des Universalgelehrten Carl Gustav Carus, mit dem Dahl vor allem in den ersten Dresdner Jahren enger bekannt war, stand nicht das erforschende, wissenschaftliche Studium einer Naturerscheinung im Vordergrund, sondern das Sammeln von Seherfahrungen.
Dahls souveräne Hand, die zielsicher und unbeirrt die Situation erfassen konnte, brachte ihm zu Beginn die Kritik des Gelehrten ein, ihm mangele es an Demut vor der Komplexität der göttlichen Schöpfung, sei es in Naturerscheinungen, Pflanzen oder Wolkenbildern. Seine eigenen Naturstudien begleitend, revidierte Carus dieses, von einer starken Hinwendung zum religiös durchdrungenen romantischen Idealismus Friedrichs begünstigte Urteil und schätzte den naturalistischen Aspekt der Malerei Dahls, indem er sich in seinen eigenen Studien der 1830er Jahre dem Stil des Norwegers zu nähern versuchte. Daß die naturzugewandte, ungezwungen erscheinende künstlerische Auffassung Dahls allgemein als „große Sensation“ gefeiert und als Aufbruch zu einer sich frei entwickelnden, jungen Landschaftsmalerei gesehen wurde, hielt Ludwig Richter, der ab 1836 den ersten Lehrstuhl für Landschaftsmalerei an der Dresdner Kunstakademie innehatte, in seinen Lebenserinnerungen fest. Er berichtete von einem ausgestellten Gemälde Dahls: „…und schwerlich kann man sich jetzt eine Vorstellung machen, welche Wirkung ein Werk von solch schlagender Naturwahrheit unter dem Troß der übrigen schattenhaften, leblosen, maniervollen Gemälde hervorbrachte. […] Der Frühlingsodem einer neuen Zeit fing an, seine Wirkung zu äußern, das alte Zopftum war im Absterben…“.
Zitiert nach:
Bang, Marie L.: Johan Christian Dahl (1788-1857). Life and Works, Oslo 1987, Bde 1-3.
Guratzsch, Herwig (Hrsg.): Johan Christian Dahl. Der Freund Caspar David Friedrichs; [Wolken – Wogen – Wehmut. Johan Christian Dahl 1788-1857. Katalog zur Ausstellung in der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf, Schleswig, und im Haus der Kunst, München], Köln 2002.
Aubert, Andreas: Die nordische Landschaftsmalerei und Johan Christian Dahl, Berlin 1947.
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Malschicht partiell minimal frühschwundrissig. Umlaufende, unscheinbare Klimakante. Zwei kleine konvexe Bildträgerverwölbungen mit minimalem Farbausbruch u.re. Zwei kleinere, ältere Farbausbrüche an der re. und unteren Kante, eine jüngere Abriebstelle mit leichtem Farbverlust o.li.; Kleine unauffällige Retuschen li. und am Bildrand o.re. Gleichmäßiger, gegilbter Firnis.
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19,5 x 27 cm, Ra. 33,2 x 42,2 cm.