011 Carl Gustav Carus, Mondscheinlandschaft. Um 1830.
Carl Gustav Carus 1789 Leipzig – 1869 Dresden
Öl auf Papier, nachträglich auf Malpappe kaschiert. Die Kanten der Trägerpappe mit Papier kaschiert und vergoldet.
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Unsigniert. Verso von unbekannter Hand ausführlich bezeichnet. In einer breiten Holzleiste gerahmt.
Die Blattecken des Bildträgers mit kleinen Fixierlöchlein. Malschicht mit punktuellen bis kleineren Retuschen im Bereich des Himmels und an den Rändern; kleinere Farbausplatzung o.Mi. Vereinzelt punktförmige Flüssigkeitsspuren. Gealterter Firnis, partiell minimal berieben. Die Ecken der Trägerpappe etwas gestaucht, die Randbereiche mit vereinzelten kleinen Läsionen, verso mit Resten älterer Montierungen.
Beschriftung verso vormals von einem späteren Etikett überdeckt (einzeln beigegeben).
Nicht im WVZ Prause.
Eine Expertise von Prof. Dr. H. J. Neidhardt, Dresden, vom 30.01.2012 liegt vor.
Die Verwendung von Papier als Bildträger ist kennzeichnend für das malerische Oeuvre Carus'. Etwa ein Viertel der kleinformatigen Gemälde und Studien wurden auf Papier gemalt und nach Beendigung des Malprozesses oftmals auf Malpappe montiert, ein Zeitpunkt der späteren Montierung läßt sich zumeist nicht nachweisen. Die nach der Montierung geschnittenen Blattkanten des Bildträgers und sichtbar bleibenden Schnittspuren lassen sich auch auf anderen Gemälden des Künstlers nachweisen ("Baumstudie", um 1825, Galerie Neue Meister Dresden, Inv. Nr. 2215M) ebenso die Fixierlöchlein in den Blattecken des Bildträgers ("Sächsische Landschaft. Sonnenstein bei Pirna", um 1824, Nationalgalerie Berlin, Inv. Nr. AII424).
Vgl. Möckel, Viola: Über Bildträger und Grundierungen von 24 Gemälden von Carl Gustav Carus (Galerie Neue Meister SKD Dresden und Alte Nationalgalerie, SMPK Berlin). Dresden, 2007 (unpubliziert).
Als Vorreiter und Verfechter einer romantischen Naturforschung und Medizin, die sich der regulativen, in forschend und interpretatorisch trennenden Auffassung Kants entgegenstellte und, stärker im Sinne Hegels, auf dem Zusammenklang von Empirie und Philosophie basierte, lag sämtlichen natur- und kunstwissenschaftlichen Äußerungen von Carl Gustav Carus das Beschreiben einer ideellen Einheit von Natur und Mensch zugrunde. Allein in der befruchtenden Ergänzung von Physik und Metaphysik, nicht in deren vernunftbasierter Ablehnung, sah Carus die Aufgabe der Wissenschaft, den Zusammenhängen in der Identität von Natur und Geist nachzuspüren, erfüllt. Seine in viele wissenschaftliche Bereiche vordringenden, umfassenden Studien widmen sich stets der von sozialen und politischen Prägungen ungetrübten Verbindung von Mensch und Natur.
Carus’ Standpunkt, nur eine durch die Erkenntnisse der Wissenschaft beeinflußte Kunst könne als ganzheitlich angesehen werden, zeigt sich deutlich in seiner am 15. Dezember 1834 im Kunstverein zu Dresden gehaltenen Vorlesung „Ueber atmosphärisches Licht und über atmosphärische Farben“. Hierin formulierte er die Feststellung und Hoffnung, „daß der Wissenschaft manches zu Gute komme von der Kunst […], daß aber auch die Wissenschaft ihrerseits manchen nützlichen Fingerzeig, manchen dankenswerten Aufschluß der Kunst zu geben im Stande sey, …“ Der Malerei maß Carus in seinen Ausführungen besonderes Gewicht bei, „als derjenigen Kunst, die ganz und gar vom Lichte lebt, die ohne Licht undenkbar wäre, deren Aufgabe es ist, durch Schein des Lichtes das Sinnesorgan auf gefällige Weise und zu höhern Zwecken zu täuschen, und die, um diesen Zweck zu erreichen, sonach die Kenntnis von den Lichtwirkungen und die nicht so leichte Kunst des Sehens voraussetzt“.
Dies zeigt sich auch im künstlerischen Schaffen des Universalgelehrten, hier in besonderem Maße an der Werkgruppe der Mondscheinlandschaften. Basierend auf zahlreichen empirischen Studien zu den für das menschliche Auge wahrnehmbaren, atmosphärischen Prozessen, schuf Carus eine Reihe von malerischen Mondscheinszenen, die einerseits seine Beobachtungen des Lichtspiels und der Farben am Nachthimmel reflektieren, zum anderen jedoch immer auch Spiegel der eigenen Empfindung sind. Carus suchte die tief wahrgenommene Einheit von Wissen und Empfindung, von Geist und Gefühl; nüchternes Abbilden fand ebenso seine Ablehnung wie geistlose Schwärmerei. Konnte er sich für eine detaillierte malerische Schilderung einer Wetterlage, wie in den Gemälden Johann Christian Klengels, begeistern, so empfand er die klaren Wolkenstudien Johan Christian Clausen Dahls als „unchristlich befremdend“. Auch den mitunter symbolisch-metaphorisch aufgeladenen Seelenlandschaften Caspar David Friedrichs, dem sich Carus zeitweise eng verbunden fühlte, stand der Mediziner kritisch gegenüber: in einem Brief an Johann Gottlob Regis aus dem Jahr 1820 faßte Carus zusammen, Dahl würde „ebensooft an das Objektive sich zu sehr verlieren, als Friedrich zuweilen im Subjektiven unterging“.
Seine eigenen Mondscheinlandschaften zeichnen sich vor allem durch dynamische, ins Dramatische gesteigerte Wolkenformationen aus, die den (in den meisten Fällen) vollen Mond und dessen reflektierendes Lichtspiel stimmungsvoll inszenieren. Die Faszination dieser Szenen lag für Carus nicht in einer unreflektierten oder verklärten Anbetung des sich ihm bietenden Naturschauspiels von Licht und Farben, sondern vielmehr in dessen malerischen, auf einer, von wissenschaftlichen Erkenntnissen gestützten, persönlichen Wahrnehmung beruhenden Analyse. Das Mondlicht schien ihm in seiner Eigenschaft als reflektiertes Licht besonders interessant, zeigen sich in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen doch die vielfältigsten atmosphärischen Phänomene: „Beobachtet man nämlich zuerst den Mond, wie er am Nachthimmel uns mehr oder weniger gelblich leuchtend erscheint, so sollte man zuvörderst schwerlich glauben, daß er mit seinem gelblichen Ton nur blaues Licht versenden könnte, …“ Und weiter: „… wir können auch bei dem minder blendenden Lichte des Mondes und besonders beim Lichte des ersten oder letzten vollen Viertels, zumal wenn leichte Wolken sich umher verbreiten, sehr deutlich sehen, daß der Himmelsraum zunächst am Monde von einer ganz außerordentlichen Dunkelheit ist, welche uns um so weniger als etwa bloß vom Gegensatz zum Mondlichte scheinbar hervorgerufen angesehen werden kann, […]; eine Verschiedenheit, welche auch auf Gemälden sorgfältig beachtet zu werden verdient, soll dadurch anders die Wirkung solchen Mondlichtes deutlich wiedergegeben werden.“ Daß es Carus gelang, diese Symbiose von Beobachtung und Empfindung in seinen Mondscheinstücken in eine eigenständige künstlerische Handschrift zu übersetzen, beweist einmal mehr dieses hier zur Auktion stehende Werk von musealer Qualität.
Quellen:
Die am 15. Dezember im Sächsischen Kunstverein in Dresden gehaltene Vorlesung „Ueber atmosphärisches Licht und über atmosphärische Farben“ wurde kurze Zeit später in drei Teilen im Schornschen Kunstblatt publiziert: Morgenblatt für gebildete Stände. Kunst-Blatt (Hrsg. Ludwig Schorn). München, Jahrgang 1835, No. 16 bis 18 (24. Februar bis 3. März 1835).
Das Zitat aus dem Briefwechsel mit Regis findet sich in: Carus, Carl Gustav: Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten. Nach der zweibändigen Originalausgabe v. 1865/66 neu hrsg. V. Elmar Jansen, 2 Bände, Weimar 1966, Band 1, S. 235. Hier wurde zitiert nach: Maaz, Bernhard: Carus und die Kunst seiner Zeit; In: Carl Gustav Carus – Wahrnehmung und Konstruktion. Akten zum interdisziplinären Kolloquium 21. bis 23. Mai 2008 im Residenzschloß, Staatliche Kunstsammlungen Dresden. Dresden 2009, Essay-Band, S. 100.
Annegret Karge.
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23 x 32,2 cm, Malpappe 24 x 33,2 cm, Ra. 32 x 41 cm.