112 Bruno Paul Seener, Bildnis eines Knaben mit Kleeblatt (Portrait A. M.). Um 1924.
Bruno Paul Seener 1893 Nürnberg – 1952 Dresden
Öl auf Sperrholz, auf eine Sperrholzplatte montiert und mit umlaufender, vergoldeter Schmuckleiste versehen.
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Unsigniert. Verso von fremder Hand mit Künstlerdaten bezeichnet. In einem vergoldeten, punzierten und goldgravierten Schmuckrahmen.
Provenienz: Nachlaß Prof. Adolph Mahnke, welcher das Portrait seines Sohnes bei dem mit ihm befreundeten Künstler in Auftrag gab.
Das Oeuvre von Bruno Seener, der an der Dresdner Akademie studierte und zeitweilig auch dort Anatomieunterricht erteilte, wartet noch auf eine angemessene Würdigung und kunsthistorische Aufarbeitung. Dies mag verwundern, wenn man das bis dato in Privatbesitz befindliche Knabenportrait betrachtet. In der Tat sind von Seener, dessen 1937 entstandene Darstellung der drei Grazien 2010 im deutschen Auktionshandel für Furore sorgte, bisher nur wenige Arbeiten bekannt geworden, die zudem unterschiedlichen Schaffensperioden entstammen. Seener war um die 30 Jahre alt, als er dieses museumswürdige Bildnis des etwa achtjährigen Adolf Mahnke schuf. Dessen gleichnamiger Vater, der Dresdner Professor für Bühnenbild Adolph Mahnke, hatte es bei seinem Freund Seener in Auftrag gegeben.
Es zeigt einen zarten Jungen mit vollem Haar und rundlichen Gesicht, dessen große braune Augen unter fein geschwungenen Brauen den Blick des Betrachters auf sich ziehen, bevor dieser weiter hinab zu den roten Lippen wandert. Der etwas gelängt gezeigte Körper des schlanken, grazilen aber nicht dünnen Jungen steht an der Schwelle zwischen Kindheit und Adoleszenz. Subtil spielen Lichter auf den Schultern, in der Mitte des Brustkorbes und unter den Achseln. Die Auffassung des Knabenaktes mit seinen beinahe weiblichen Gesichtszügen und seinem noch kindlichen Körper, der doch schon ein männliches Muskelspiel erahnen lässt, kam dem zeitgenössischen Interesse an androgyner Körperlichkeit entgegen. Dieses spiegelte sich auch im Kleidungsstil der Frauen und der neuen Frisurenmode - dem beliebten Bubikopf, der bereits im Namen eine Verbindung der Trägerin zum kleinem Jungen konstruiert.
Obwohl es sich um ein Auftragswerk mit sehr persönlichem Entstehungshintergrund handelt, überlagern sich darin also offenbar die verschiedensten Bedeutungsebenen, und ein nicht zu verleugnender Eros, der im Kontext des Entstehungshintergrundes so faszinierend wie irritierend auf den wissenden Betrachter zu wirken vermag. Doch all dies bleibt Anspielung, ist mehr Suggestion als vordergründiges Bildthema. Seit Caravaggios ikonischen Bildern, für die er römische Jünglinge als Modelle engagierte, scheint sich dieses Schillern zwischen Unschuld und Erotik in unser kollektives Bildgedächtnis eingeschrieben zu haben. Damit spielt der Künstler, der eben doch niemals nur Auftragnehmer ist.
Kinderbildnisse hatten auch im Motivrepertoire der Maler der Neuen Sachlichkeit ihren festen Platz. Hier denkt man beispielsweise an Otto Dix, der mit den Potraits seines Sohnes Ursus als Neugeborenes (1927), mit dem abgehärmten Streichholzhändler II (1927, Mannheim) oder dem heute in Minneapolis befindlichen nackten "Kleinen Mädchen" (1922) nicht nur seine Sicht auf das menschliche Dasein, sondern auch seinen sezierenden Blick auf den menschlichen Körper exponiert. Das Kind als schutzloses Subjekt wird bei Dix zum Objekt einer beinahe manischen Gesellschaftsanalyse. Ganz anders Seener: Sein Bildnis des etwa achtjährigen Adolf zeigt den Portraitierten nicht als dem Maler ausgeliefertes Studienobjekt. Vielmehr schuf Seener ein einfühlsames Kunstwerk, dem man den Versuch, etwas vom Wesen des Dargestellten zu transportieren, ansieht. Seiner berückenden Schönheit - Bildwürdigkeit -, derer er sich vielleicht gerade bewusst wird, steht eine gewisse Scheu gegenüber, der Seener in der kaum merklichen Krümmung seines Rückens Ausdruck verleiht.
Er wählte hierfür eine altmeisterliche Lasurtechnik in Öl, mit der in dieser Zeit zahlreiche seiner Kollegen experimentierten. Dies war jedoch nicht die einzige Möglichkeit, denn die stilistische Bandbreite der Maler der so genannten Neuen Sachlichkeit reichte von einem offenen, freien Duktus bis zu einer eher seltenen beinahe fotorealistischen Glätte. Diese ist auch Seeners Bild zueigen und er scheint diesen Modus bewusst in Einklang mit seinem Motiv gewählt zu haben. Meisterlich traf er dabei den Ton des Inkarnats und legte besondere Raffinesse in die wenigen farblichen Akzente: die leicht geröteten Wangen, die verwaschenen aber leuchtenden Lippen, die zarten kindlichen Brustwarzen sowie das große vierblättrige Kleeblatt, das der Junge mit beinahe geziertem Griff vorsichtig in der Hand hält. Die ikonografischen Dimensionen dieses Motivs zu deuten, hat der Künstler uns überlassen.
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Bildträger am Bildrand o. mit zwei kleinen Rissen (je 1 cm). Malschicht mit Alterskrakelee. Vereinzelt oberflächliche Kratzer, kleinste Druckstellen und Retuschen. Firnis etwas unregelmäßig aufgetragen und partiell minimal matter.
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56 x 28 cm, Ra. ca. 66 x 38 cm.