991 Hochbedeutender monumentaler Falkner-Kowsch. Fabergé, Moskau. Um 1913.
Peter Carl Fabergé 1846 St. Petersburg – 1920 Pully b. Lausanne
Rudolph Sack 1824 Kleinschkorlopp – 1900 Leipzig
Geschenk zum 50. Firmenjubiläum der Landmaschinenfabrik Rud. Sack KG, Leipzig-Plagwitz von Direktor Dr. Walter Lessing
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der Act.-Ges. "Rabotnik", Moskau.
Silber, 88 Zolotnik (14 1/2 Lot), getrieben, partiell poliert sowie matt ziseliert, die Innenseite des Bodens gebürstet. Die Innenwandung vergoldet.
Schiffsförmiger Korpus, im vorderen Segment mit der plastisch ausgearbeiteten Darstellung eines Falkners im historischen Gewand auf einem galoppierenden Pferd, den rechten Arm und Hand erhoben und einen Falken haltend. Seitlich weitere Falkner. Im J-förmigen und ornamental reliefierten Griff beidseitig eine vertiefte, querrechteckige Reserve, darin ein reliefiert ausgearbeiteter Fuchs sowie ein Hase. Auf der Wandung beidseitig mit einer gravierten Widmung "Dem Hause "Rudolf Sack", die dankbare Act.-Ges. "Rabotnik"" sowie "5. Mai 1863–1913". Unterseits mit der Meistermarke "K. Fabergé" in kyrillischen Versalien, oberhalb der Doppeladler (Wappen des Russischen Kaiserreichs). Des Weiteren die Marken der Moskauer Bezirksschauadministration 1908–1917 im Oval sowie im Kreis (üblicherweise neben der zusammengesetzten Marke). Unterhalb der Marken die geritzte Inventarnummer "21601".
Vgl. Goldberg, T.: Verzeichnis der russischen Gold- und Silbermarken, München 1971, Lfde. Nr. 870, 1938, 1941.
Wir danken Frau Dr. Juliane Gohla, Urenkelin des Rudolph Sack, für freundliche Hinweise.
Wir danken Frau Sabine Lessing, Ehefrau des Enkels von Walter Lessing, für freundliche Hinweise.
Fabergé
Der Kowsch, ein traditionelles russisches Trinkgerät mit einem schiffsbauchähnlichen Korpus, wurde seit dem Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert durch die sozialen Schichten hinweg in verschiedenen, kunstfertig verzierten Ausführungen und Materialien genutzt. Im Mittelalter wurde der Kowsch vorwiegend aus Holz gefertigt und als reiner Gebrauchsgegenstand zum Servieren von Speisen und Getränken genutzt. Im frühen 18. Jahrhundert ließ der Zar vergoldete Kowschs anfertigen, die er für besondere Verdienste für das Land verschenkte. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert fertigten Gold- und Silberschmiede, u. a. Fabergé im Kundenauftrag hochwertige, dekorative Kowschs mit oft monumentalem Ausmaß zu Repräsentationszwecken.
1887 eröffnete Fabergé eine Moskauer Filiale auf der Prachtmeile Uliza Kuznetskiy Most, welche parallel zu jener in St. Petersburg betrieben wurde. Ab 1900 produzierte Fabergé alle großformatigen, repräsentativen Silberobjekte in Moskau – zu diesem Zeitpunkt Zentrum russischer Silberschmiedearbeiten und Sitz der größten Firmen der Branche – nicht zuletzt, weil die besten Silberschmiede der Zeit in Moskau angesiedelt waren. Ein weiteres Merkmal des Moskauer Firmenzweigs war die Spezialisierung auf den altrussischen Stil in einer gleichzeitig qualitativ äußerst hochwertigen Ausführung.
Der russisch-folkloristische Themenkreis oder so genannte neorussische Stil spiegelte sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Rückbesinnung auf die russische Geschichte wider und wurde in der Darstellung von Heldenfiguren, Szenen aus Märchen und Epen sowie historischen Gegebenheiten oder Personen manifestiert. Diese wurden vollplastisch, teils eigenständig gefertigt oder als Reliefs an den Objekten platziert. Fabergé entwarf mehrere monumentale Kowschs mit dem Bogatyr-Thema, den mittelalterlichen Helden aus Sagen der Geschichte der Kiewer Rus. Auch das Motiv des Falkners ist tief in der mittelalterlichen Geschichte Russlands verwurzelt. Die Falkenjagd galt als eine der Lieblingsbeschäftigungen des russischen Hochadels im Mittelalter, besonders der Bojaren.
Die figürliche Plastik des Kowschs lässt sich konkret auf die Monumentalplastik "Der Falkner des Zaren" (1872) des russischen Bildhauers Jewgeni Alexandrowitsch Lanseres, auch Eugen Lanceray, (1848–1886) zurückführen. Eine monumentale Ausführung der Bronze wurde im Rahmen der Allrussischen Industrie- und Handwerksausstellung 1882 in Moskau ausgestellt, an der im selben Jahr auch Fabergé erstmals teilnahm und mit der Goldmedaille ausgezeichnet wurde.
Nach derzeitigem Forschungsstand sind neben dem angebotenen Exemplar zwei weitere, formähnliche Ausführungen des Falkner-Kowschs bekannt. Ein vergleichbares Objekt mit abweichendem Umriss des Korpus, des Griffs sowie kleinerer Details und mit der Inventarnummer "24682" versehen, stammt aus dem Besitz der schwedischen Nobel-Familie, einem wichtigen Kunden Fabergés. Insbesondere Emanuel Nobel, schwedisch-russischer Ölmagnat der Firma Branobel, gab zahlreiche Werke in Auftrag (weitere Provenienz: 20. Mai 1997 Sotheby's Genf, Los 290/ 26. November 2012 Christie's London, Los 284).
Ein weiterer vergleichbarer, weniger detailliert ausgeführter und nicht nachweislich Fabergé zugeschriebener Kowsch war ein Geschenk des Großfürsten Boris Wladimirowitsch Romanow (Cousin des Zaren Nikolaus II.) an den spanischen König Alfons XIII. im Jahr 1908 (Farnese Regiment). Beide Kowschs sind unmittelbar an eine archivarische Fabergé-Skizze (Fabergé, T., S. 349) angelehnt. Silberobjekte aus der Moskauer Werkstatt wurden üblicherweise nicht signiert, sondern trugen ausschließlich den Firmennamen, sodass über die Entwerfer selbst sehr wenig bekannt ist. Dies nimmt die aktuelle Forschung zum Anlass, sich mit der Recherche zur Datierung und möglichen Schöpfern der monumentalen Bogatyr- und Falkner-Kowschs zu befassen.
Literatur:
- Trombly, Margaret Kelly. Fabergé and the Russian Crafts Tradition, 2017.
- Fabergé, Tatiana F., et al. Fabergé: A Comprehensive Reference Book, 2012, Abb. S. 349.
Internetseiten:
- Sparke, C. and Hoff, Dee Ann: "Fabergé's Monumental Kovshes with Bogatyr Themes" in: Fabergé Research Site / Newsletter 2015 Winter.
- Hoff, Dee Ann:" From Bogatyrs to Boyars" in: Fabergé Research Site / Newsletter 2016 Winter mit Abb.
Die Familie Rudolph Sack
Rudolph Sack (1824–1900) stammte aus einfachen Verhältnissen und half seit früher Kindheit in der Gutswirtschaft seiner Eltern mit. Nichtsdestotrotz legten sie sehr viel Wert auf eine fundierte Ausbildung des Sohnes und ermöglichten ihm den Schulbesuch bei einem Privatlehrer und später zusätzlichen Unterricht in Mathematik und Zeichnen bei einem Feldmesser in Leipzig. Sack bildete sich in den folgenden Jahren stetig weiter, arbeitete unter anderem als Gutsverwalter. Nach der Rückkehr in die Heimat, veranlasst durch den Tod seines Stiefvaters im Jahr 1855, begann er die wenig leistungsfähigen Pflüge zu verbessern und konstruierte neben einem neuen, effizienten und leichtgängigen Pflug aus Eisen und Stahl seine erste Drillmaschine, Eggen, Walzen und Hackmaschinen. Nach regionalen Erfolgen wurden seine Konstruktionen in Fachzeitschriften besprochen und auf Ausstellungen gezeigt. Erster internationale Auftraggeber war der Rübenzuckerfabrikant Graf Alexei Bobrinski aus Bogorodizk / Kiew, welcher 1857 nach einem Besuch auf dem Sack'schen Gut 120 Pflüge unter der Maßgabe orderte, diese im technisch fortgeschritteneren England bei Richard Garetts & Sons in Leiston herzustellen. Dies war u. a. ein Impuls im Jahr 1863 die äußerst erfolgreiche und stetig wachsende Fabrik in Leipzig-Plagwitz mit Unterstützung des Industriellen Carl Heine (1819–1888) zu gründen. Rund zehn Jahre später stellte Sack auf der Wiener Weltausstellung aus, unternahm zahlreiche Handelsreisen und exportierte u. a. nach Österreich und Russland. 1877 richtete Sack eine 17 ha große Versuchsstation für neu entwickelte Geräte sowie für die Steigerung des Ertrags beim Anbau von Getreide und Hackfrüchten und beschäftigte sich intensiv mit Be- und Entwässerungsverfahren. Nach seinem Tod wurde diese Versuchsstation auf 200 ha vergrößert. Das Werksgelände erhielt 1878 zudem einen eigenen Anschluss an das Schienennetz der Sächsischen Staatseisenbahn. 1882 wurden bereits 50% der gesamten Produktion exportiert, im Jahr des 50–jährigen Firmenjubiläums 1913 waren es 72%. Rudolph Sacks Sohn Paul trat 1881 in die Firma ein, übernahm ab 1891 weitestgehend die Geschäfte und führte die Firma ab 1900 mit wachsendem Erfolg weiter (Abb. 1). 1911 beschäftigte die Firma Sack fast 2.000 Mitarbeiter. In einem geschäftsinternen Briefwechsel zwischen der Exportabteilung der Firma Rud. Sack und Otto Sack im Jahr 1911 manifestierte sich die beginnende Geschäftsbeziehung zu der Act.-Ges. Rabotnik. (Abb. 2). Das 50–jährige Firmenjubiläum 1913 wurde in großem Umfang und mit internationaler Gästeliste (Abb. 3) begangen. Für seine Verdienste bei der Weiterentwicklung von landwirtschaftlichen Maschinen, die auf modernstem Stand und qualitativ auf höchstem Niveau waren, erhielt Paul Sack die Ehrendoktorwürde der TH Dresden. Seine Söhne Otto und Dr. Hans Sack übernahmen nach seinem Tod die Geschäftsführung. 1945 folgte die Stilllegung der Firma Rud. Sack KG durch die US-amerikanische Administration, etwas später wurde das Vermögen durch die sowjetische Militäradministration beschlagnahmt. Die Produktion wurde in kleinem Umfang wieder aufgenommen. 1946 wurde der Betrieb demontiert und die modernen Maschinen in die UDSSR gebracht. 1948 wurde der Betrieb in Volkseigentum überführt und hieß fortan "Leipziger Bodenbearbeitungsgerätefabrik VEB, vormals Rud. Sack" (BBG). 1998 übernahmen die Amazonen-Werke den mittlerweile insolventen Betrieb.
Literatur:
- Dreyer, Klaus: Die Geschichte der BBG – Von Rudolph Sack bis AMAZONE, 2009.
- Rud. Sack Leipzig-Plagwitz: 1863 – 1913; Lebensgeschichte des Begründers, Entwicklung und heutiger Stand des Werkes. Leipzig, 1913.
Die Familie Lessing und die Act.-Ges. Rabotnik
Direktor der Act.-Ges. Rabotnik war Dr. Walter Lessing (1881–1967), Großindustrieller, Kommunalpolitiker und, wie sein Vater Anton Lessing, großer Förderer des kulturellen Lebens der Stadt Oberlahnstein. Er führte zudem die langjährig etablierte freundschaftliche Beziehung zwischen Russland und Deutschland fort. Zum 50–jährigen Firmenjubiläum der Firma Rudolf Sack im Jahr 1913 war Dr. Walter Lessing eingeladen, wie aus einer internen, internationalen Gästeliste hervorgeht (Gästeliste in Abbildung).
Sein Vater, Anton Lessing (1840–1915), königlich-preußischer und kaiserlich-russischer Kommerzienrat, wirtschaftspolitischer Berater der deutschen Botschaft in St. Petersburg und ein Wegbereiter der Industrialisierung Russlands, legte den Grundstein für die intensiven Geschäftsbeziehungen der Familie nach Russland und war wesentlich an der Erweiterung des Eisenbahnbaus in Russland beteiligt. Er siedelte 1864 nach Moskau, später nach St. Petersburg und gründete 1871 mit den Brüdern Gustav und Amand von Struwe die Lokomotivfabrik Kolomna, wobei Lessing für die Materialbeschaffung, Abrechnungen und Finanzierung zuständig war. Anton Lessing gründete darüber hinaus gemeinsam mit den Gebrüdern von Struwe die Tschelkowo-Gesellschaft für Steinkohlegewinnung sowie ab 1881 weitere Eisenguss- und Hüttenwerke in Russland. Hauptwohnsitz war nach seiner Heirat mit der Belgierin Lydia de Cuyper (1848–1904) ab den 1880er Jahren Oberlahnstein. A. Lessing war überdies ab ca. 1910 an der Erdölgewinnung in Galizien (Österreich) mit der von ihm gegründeten "Flüssige Brennstoff GmbH", Berlin, beteiligt. Sein Sohn Gottfried übernahm ab Beginn des 20. Jahrhunderts die Geschäfte in Russland, welche nach dem ersten Weltkrieg und der Russischen Revolution ein plötzliches Ende fanden. Anton Lessing erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Ehren und erhielt die Ehrenbürgerwürde von Oberlahnstein sowie seiner Geburtsstadt Mühlhausen.
Walter Lessing ging aus eigenem Antrieb nach Russland und unterstützte neben weiteren Tätigkeiten seinen Vater Anton sowie seinen Onkel Adolf Lessing beim Ausbau der Unternehmen in der landwirtschaftlichen Maschinenindustrie in Russland. Unter anderem führte ihn seine Arbeit ferner nach Sibirien, dem Kaukasus, Baku und Tiflis. 1906 trat er in die Verwaltung einer 1866 von seinem Patenonkel Amand von Struwe gegründeten Genossenschaft für landwirtschaftliche Maschinen "Rabotnik" ein, die dem Ressort des Landwirtschaftsministerium unterstand (Abb. 4). Walter Lessing übernahm zeitnah nach seinem Eintritt den Chefposten. "Rabotnik" verfügte über Filialen in Moskau an der Roten Pforte sowie in Kiew. Unter anderem übernahm "Rabotnik" die Produktion und Finanzierung einer Pflugfabrik in Rjasan auf Vertragsbasis. Dort wurde der erste anglobulgarische Pflug gebaut, von welchem Walter Lessing anlässlich des 70. Geburtstags des Vaters Anton Lessing eine verkleinerte Ausgabe von Fabergé, St. Petersburg, anfertigen ließ.
Für die Firma Rudolf Sack hatte "Rabotnik" die Generalvertretung für den Moskauer Bezirk inne; diese fand in Russland einen attraktiven Absatzmarkt vor und exportierte zahlreiche Pflüge sowie Drillmaschinen. In den Jahren 1912–1914 erfuhr "Rabotnik" einen enormen Zuwachs in den Bereichen Umsatz, Eigenproduktion und Grundstückskäufen. Im Jahr 1913 reiste Walter Lessing nach Deutschland um im Frühjahr an den Feierlichkeiten des 50–jährigen Jubiläums der Firma Rud. Sack teilzunehmen. Dort lernte er seine spätere Ehefrau Anneliese Sack (1881–1967), Tochter Paul Sacks, kennen. Walter Lessing verließ Russland erst unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Nach Jahren im Kriegsdienst heiratete er 1919 Anneliese Sack. 1922 kehrte die Familie in die Heimatstadt Lessings zurück, wo er die Leitung des Oberlahnsteiner Werkes der Firma Gauhe, Gockel & Cie, einer Fabrik für Hebevorrichtungen, Baumaschinen und Baugeräte mit eigener Eisengießerei, bis 1938 übernahm.
Auch in nachfolgenden Generationen besetzt und besetzte die Familie Lessing, u.a. mit Rechtsanwalt und Politiker Dr. Gregor Gysi, Sohn von Irene Lessing und Klaus Gysi sowie die Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing (1919–2013), welche in zweiter Ehe 1945–1950 mit Gottfried Anton Nicolai Lessing (1914–1979) verheiratet war, wichtige gesellschaftliche Positionen.
Literatur:
- Lessing, W.: Vater und Sohn im Zarenreich 1859–1914 vom Sohne, Maschinengeschriebenes Manuskript, 1957, S.3ff., zu "Rabotnik" S. 23 ff.
Abbildungsnachweise:
- Abb. 1: Fotografie der Familie Paul Sack aus dem privaten Bildarchiv von Frau Sabine Lessing
- Abb. 2: Schreiben der Exportabteilung der Firma Rud. Sack an Otto Sack: Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, 20793, Rudolf Sack, Landmaschinenbau, Leipzig, Nr. 148, Blatt 210.
- Abb. 3: Gästeliste zum 50–jährigem Jubiläum der Firma Rud. Sack: Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, 20793, Rudolf Sack, Landmaschinenbau, Leipzig, Nr. 143, Blatt 1.
- Abb. 4: Plakat "Rabotnik", aus dem privaten Bildarchiv von Frau Sabine Lessing.
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Fachmännisch restaurierter Zustand. Die Innenvergoldung weitestgehend verloren. Vereinzelt feine Haarrisse. Die Außenwandung mit vereinzelten Kratzspuren, Boden und Innenwandung kratzspurig. U.li. Wandungsteil mit kleinen Druckstellen.
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L. 49,3 cm, H. 25,7 cm, T. 25 cm, Gewicht ca. 4,8 kg.