110 Bernhard Heisig "Misthaufen". 1987.
Bernhard Heisig 1925 Breslau – 2011 Strodehne
Öl auf Leinwand. Signiert u.re. "Heisig". Verso auf der Leinwand in Blei nochmals signiert "Bernhard Heisig", datiert und betitelt. In einer schwarz lackierten profilierten Holzleiste gerahmt.
Das vorliegende Gemälde zeigt die Aussicht aus dem Atelierfenster des Künstlers hinaus auf eine Wiese mit einem von Hühnern bevölkerten Misthaufen. Auf den Betrachter wirkt zunächst die starke Farbigkeit sowie die Bewegtheit des malerischen Duktus, bevor er der im Vordergrund auf dem
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Fensterbrett abgelegten Gegenstände gewahr wird: eine kaputte Puppe, eine Trompete, ein Totenschädel sowie eine Nachtwächterlampe. Diese Gegenstände bewahrte Heisig tatsächlich in seinem Atelier auf (vgl. Roters S. 90). Als konstante Topoi finden sich einige dieser Requisiten in anderen Gemälden des Künstlers wieder und lassen sich nur im biografischen und künstlerisch-intentionalen Kontext entschlüsseln:
Die Zerstörung seiner Heimatstadt Breslau im Zweiten Weltkrieg erlebte Heisig als junger Mann, was als tiefes, persönlichkeitsbestimmendes Erlebnis sein künstlerisches Werk prägte und zu seinem "Lebensmotiv" wurde (Roters S. 82). Seit Mitte der 1960er Jahre verarbeitete der Künstler in seinen Bildern eigene Kriegserlebnisse, seit den 1970er Jahren verband er sie mit der Geschichte Schlesiens der ferneren Vergangenheit, der Usurpation durch Preußen im 18. Jh. unter Friedrich II. und den darauffolgenden Schlesischen Kriegen im fortwährenden Widerspruch zwischen Schlesien und Preußen.
Die künstlerische Synthese der politischen Vergangenheit seiner Heimat Schlesien mit eigenen Erinnerungen an den zweiten Weltkrieg machen Heisigs Bilder zu wichtigen politischen "Abrechnungen, Bekenntnissen, Mahnungen. Er holt die Geschichte in seine Werke hinein, formt aus Figuren und Objekten Metaphern, baut Kompositionen, in denen Gegenwärtiges und Vergangenes vereint ist: viele Bilder geraten derart zu einem "Welttheater, zu einer totalen Sicht" (Lang S. 7). Es sind "Erinnerungsbilder" für die Zukunft, woraus sie ihre Aktualität für die Gegenwart beziehen (Roters S. 83).
In den "Preußischen Stilleben" malt der Künstler in den 1980er Jahren Arrangements von Trompete, Pickelhaube und Totenschädel bzw. Gliederpuppe. 1987 entstehen mit entsprechenden Requisiten die Bilder "Ja wir sind die Garde" und "Beschäftigung mit Fritz und Friedrich", Requisiten und Insignien des Militarismus sind in den den Bildern "Preußischer Soldatentanz" von 1978/79 zu makabren Stillleben arrangiert.
Die im vorliegenden Bild dargestellte kaputte Puppe sowie der Totenschädel sind unheimliche Dinge, die Zerstörung indizieren sowie gewissermaßen einen "Sog des Todes" ausüben (Roters S. 90). Dazu verbinden sich die Trompete als preußisch-militaristisches Lärminstrument und die blutrot gefärbte Nachtwächterlampe zu einem Ensemble, das sich semantisch in Heises geschichtsreflektierende Bildwelten einfügt. Die Aussicht auf einen "Misthaufen" mit gackernden Hühnern, so alltäglich und vordergründig idyllisch das Motiv auch aufgefasst werden mag, kann im entstehungszeitlichen Kontext der sozialpolitischen Situation in der DDR wohl als ironisch-sarkastische Reminiszenz gedeutet werden.
Lit.:
Lothar Lang: "Stichworte zu Bernhard Heisig". In: "Bernhard Heisig. Gemälde und Druckgrafik". Hrsg. vom Staatl. Museum Schloß Burgk, Neue Galerie zur Ausst. vom 15.6. bis 30.8.1981. Schleiz 1981.
Eberhard Roters: "Schlesisches Himmelreich-Preußische Hölle oder: Die Tiefe der Erinnerung". In: Jörn Merkert und Peter Pachnicke (Hrsg.): "Bernhard Heisig. Retrospektive". S.82–93.
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Bildträger mit leichten Deformationen am li. Bildrand Mi. Kleine Retuschen o.li. sowie vier weitere kleine am re. Bildrand. Partiell maltechnikbedingt unterschiedlicher Oberflächenglanz. Bildträger verso fleckig, die Spannkannten umlaufend mit kreisrunden, braunen Spuren einer ehemaligen Nagelung.
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81,5 x 60,2 cm, Ra. 93,5 x 73,5 cm.